Von Risiken, Malerei und Musik

Celloschnecke, © Mara Kochendörfer
Celloschnecke, © Mara Kochendörfer

Viele Menschen finden auf meine Website, weil sie mich mal in einem meiner Konzerte oder auf einer Weiterbildung gesehen haben oder eines meiner Videos in ihrem Feed ausgespielt wurde. Vielleicht hast du mich ja auch irgendwo spielen gesehen und bist auf diese Weise auf meinen Blog geraten. Auch wenn ich mittlerweile meinen ganz individuellen Zugang zur Musik gefunden habe, war der Weg von der klassischen Musikausbildung hin zum Songschreiben, vom Orchester hin zum freien Improvisieren und Komponieren, nicht immer ein gerader. Ich bin einige Risiken eingegangen, habe Umwege gemacht und vielleicht erst dadurch meinen Weg gefunden. Und vielleicht bist du ja momentan in einer Situation, in der du ein Ziel hast, du aber den Zugang dazu noch nicht findest - dann könnte dir meine Erfahrung Mut machen, auch mal einen Umweg zu wagen.

 

© Mara Kochendörfer
© Mara Kochendörfer

Wenn ich Videos von mir auf Facebook oder Instagram poste, dann werde ich oft gefragt, was das für ein Bild, das im Hintergrund an meiner Wand hängt. Ja, dieses Mandala habe ich tatsächlich selbst gemalt. Es gab Phasen in meinem Leben, in denen ich nur über die Malerei meine Kreativität ausdrücken konnte. Über welche Umwege ich es geschafft habe, diese Freiheit auch auf das Cello zu übertragen, möchte ich in diesem Blogbeitrag schreiben. 

(hier noch mit langen Haaren...)
(hier noch mit langen Haaren...)

Ich hatte ein Hochschulstudium für Cello abgeschlossen und Anstellungen in verschiedenen Orchestern Deutschlands. Aber irgendetwas fehlte, die große Klangkulisse im Orchester war zwar einerseits imposant, ich konnte tolle Kompositionen mit großartigen Orchestern spielen - andererseits erfüllte mich diese Tätigkeit, möglichst unauffällig Teil einer homogenen Gruppe zu sein, nicht. Es kam dazu, dass ich mich einerseits unterfordert fühlte (weil Cellostimmen z.B. bei Mozart-Opern sehr einfach sind) - und streckenweise überfordert (weil manche Passagen bei Wagner oder Strauß so schwierig sind - aber gleichzeitig das "Schutzblech" der Blechbläser so laut drüber spielt, dass noch nicht einmal ich mich selber höre). Hinzu kam, dass man es eigentlich keiner Gruppe, keiner Kolleg:in und keiner Dirigent:in zu 100% Recht machen kann. Ich habe alle Arten von Feedback bekommen, von "du spielst zu laut" bis hin zu "du spielst zu leise", von "du bewegst dich zu wenig" bis hin zu "du führst zu viel". Rückblickend betrachtet fehlte mir die Wertschätzung, dass das, wofür ich so lange studiert hatte, gut genug war. Ich hatte zwar ein Probespiel bestanden, aber hinter vorgehaltener Hand wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es tausend andere Cellist:innen gibt, die nur auf meinen Platz warten. Womit sie ja auch Recht haben, wenn man die beruflichen Kompetenzen einer Kolleg:in nur auf die Instrumentaltechnik reduziert und nicht den ganzen Menschen mit all seinen zwischenmenschlichen Eigenschaften betrachtet.

 

Skizze von dem Cellisten Gregor Piatigorsky, © Mara Kochendörfer
Skizze von dem Cellisten Gregor Piatigorsky, © Mara Kochendörfer

So kam es dazu, dass ich mich auf ein Kommunikationsdesign-Studium vorbereitete - und in diesem Jahr tatsächlich kaum noch Cello spielte, weil ich dazu irgendwie den Bezug verloren hatte. Ich wusste, dass ich für das Studium eine Mappe einreichen und eine Eignungsprüfung bestehen musste. Also habe ich über mehrere Monate einen Vorbereitungskurs besucht, in dem im Schnelldurchlauf viele Themen aus dem Studium (Malerei, Fotografie, Kalligrafie, Corporate Design) durchgenommen wurden. Am Ende des Kurses hatte ich eine eigene Mappe zusammengestellt und anschließend auch einen Studienplatz gewonnen - den ich dann aber aus persönlichen Gründen nicht angenommen habe. Das war aber nicht schlimm, denn allein durch den Vorbereitungskurs habe ich so viel gelernt, was sich mir bei meiner Arbeit als freischaffende Musikerin mit einer eigenen Internetpräsenz schon sehr oft als extrem hilfreich herausgestellt hat.

 

Darstellung von Cellisten in einer One-Line, © Mara Kochendörfer
Darstellung von Cellisten in einer One-Line, © Mara Kochendörfer

Was mir aber die Augen geöffnet hat, waren die Mappenbesprechungen. Nun hatte ich in dem Kurs zwar gelernt, Menschen so perfekt wie möglich zu zeichnen, aber als ich meine Zeichnungen den Professoren zeigte, fragten sie mich: "Das ist ja ganz schön, aber was ist deine Aussage? Was unterscheidet deine Arbeiten von den 100 anderen Bewerber:innen, die ebenfalls genauso realistisch zeichnen können?" Das hatte mich in meinem Musikstudium und auch bei den Probespielen fürs Orchester noch nie jemand gefragt. Dabei waren doch Musik und Malerei beides "Künste" oder "kreative Berufe", oder nicht? War ich als Musikerin vielleicht doch nicht kreativ? So jedenfalls fühlte es sich an. Als angehende Designstudentin wurde ich dazu ermutigt, so viel wie möglich wegzulassen, so neu und unvoreingenommen wie möglich zu sein - und als Cellistin bin ich jahrelang darauf trainiert worden, so originalgetreu wie möglich zu reproduzieren, stets alles mit Originalquellen zu vergleichen, perfekt sauber und im richtigen Tempo zu spielen und bloß nichts zu verändern, was der Komponist nicht gewollt haben könnte. Im Probespiel spielen alle Kandidaten das gleiche, damit die Orchestermusiker besser vergleichen können. Über jeden Fliegendreck wurde diskutiert, wie oft wurde allein im Orchesterkontext die Frage gestellt "Ist das ein Punkt oder ein Strich" wenn es um die Kürze der Notenwerte ging. Ein Vergleich drängte sich mir auf: die Musik, die ich bisher gespielt hatte, fühlte sich an wie ein Malen-nach-Zahlen-Bild, in dem jeder Farbton und jede Größe genauestens vorgeschrieben war - während ich in der Malerei mit einem weißen Blatt anfing und keiner festlegte, was ich darauf malte. Oder wie eine tote Sprache (in der Schule hatte ich Latein), die man nicht sprechen sondern nur rezitieren konnte, während man in jeder anderen lebendigen Sprache lernt, Sätze selbst zu bilden, um die eigene Wahrnehmung mit anderen zu teilen. War dann meine Musik überhaupt Kunst - oder war sie nur Reproduktion? Was hatten die Kompositionen, die ich spielte, mit mir zu tun? War ich eigentlich nur Covermusikerin? Ich fühlte mich einerseits befreit, dass ich einen Weg gefunden hatte, mich selbst ausdrücken - andererseits war ich natürlich auch traurig, dass ich diesen Weg auf meinem Cello (noch) nicht gefunden hatte. 

 

Mara beim Cellofestival Rutesheim
Mara beim Cellofestival Rutesheim

Es brauchte noch ein paar Jahre, um zu erkennen, wie ich auch auf dem Cello frei spielen konnte. Ich musste erst das Risiko eingehen, meinen Traum von einer "Orchesterstelle, die mich glücklich machen würde" zu beerdigen und die letzte Anstellung zu kündigen. Erst danach war ich im Kopf frei, mich auf neue Dinge einzulassen. Erst über Improvisationskurse und das weiterführendes Studium "Jazz für Streicher" in Linz konnte ich eine komplett neue Herangehensweise zur Musik  gewinnen und hatte endlich das Gefühl, als würde ich meine eigene Stimme mit dem Cello finden. Ich nahm wieder Gesangsunterricht und hatte das große Bedürfnis, die Musik, die ich immer privat gehört aber nie gespielt hatte, endlich für Cello zu arrangieren. Jahrelang hatte ich Noten von anderen Menschen geübt und gespielt - ab sofort wollte ich mir meine Musik selbst schreiben. Ich entwickelte neue Techniken auf dem Cello, entdeckte die Loopstation für mich und suchte nach Möglichkeiten, Gesang und Cello auf der Bühne zu vereinigen. 

 

Meine größte Herausforderung war, den Wunsch nach einer erfüllten Anstellung im Orchester loszulassen. Festzustellen, dass all das, worauf ich seit dem Studium hingearbeitet hatte, eigentlich nicht das Richtige für mich war, weil für mich ein anderer Weg bestimmt war. Zu erkennen, dass die einzige Sicherheit, die wir im Leben haben, der Tod ist und dass es an uns liegt, davor all unsere Träume auszuprobieren und nichts zu bereuen. Ich musste lernen, darauf zu vertrauen, dass mein Leben neue Möglichkeiten finden wird, die mich mehr erfüllen - und wurde nicht enttäuscht. Denn wenn ich jetzt in einem Orchester spielen würde, hätte ich all die tollen Erlebnisse - das Konzert auf der Zugspitze, mit Salut Salon in den größten Konzerthäusern Deutschlands und Dozentin für The Grand Jam - gar nicht erleben dürfen. Seit meiner Kündigung ist mein Leben mit Glücksmomenten gefüllt - und ich möchte keine Minute davon tauschen.

 

Danke dir, dass du bis hierhin gelesen hast! Was war dein größtes Risiko, das du eingegangen bist? Was willst du noch gerne von mir wissen? Schreib es mir gerne unten in die Kommentare. Und wenn du weiter Teil meiner Reise sein möchtest, dann lass mich dir 3 meiner Songs schenken:







Kommentar schreiben

Kommentare: 0