Ist meine Musik kommerziell oder nicht-kommerziell?

 

Diese Frage muss ich bei fast jeder Musikförderung in Deutschland beantworten. Und ich frage mich: Wieso muss ich meine Musik überhaupt in Kategorien einordnen? Was bedeutet denn "kommerziell" und was ist "nicht-kommerziell"? Laut Definition wird "Musik in dem Moment als kommerziell betrachtet, sobald mit dem Musikstück Umsatz erzielt wird." Und da stellt sich mir die Frage: Welche professionelle Musikerin oder Musiker macht überhaupt Musik, ohne damit Geld verdienen zu wollen? Es ist nahezu unmöglich, es sei denn, man ein Vermögen geerbt, lebt von staatlicher Unterstützung oder verdient in einem anderen Job genug Geld und betrachtet Musik lediglich als Hobby - zumindest ist das meine Meinung. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der mit seiner Musik nichts verdient, aber dennoch hauptberuflich Musiker:in ist.

 

Die GEMA unterscheidet in "U-Musik" (Unterhaltungsmusik) und "E-Musik" (ernste Musik). Zur ernsten Musik zählt die GEMA Kunstmusik, was im Wesentlichen klassischer Musik entspricht. Zur Unterhaltungsmusik zählt sie pauschal alles, was mit Pop, Rock, Schlager, Volks/Weltmusik, aber auch Jazz zu tun hat (obwohl ja Jazz musiktheoretisch betrachtet eigentlich eine Weiterentwicklung der Klassik ist...). Unterhaltungsmusik wird per se von der GEMA schlechter vergütet als ernste Musik, so erhält ein Komponist von E-Musik bei einer Aufführung vergleichbarer Werke die 8-fachen Tantiemen eines U-Musik-Komponisten. (Quelle: Eventrecht kompakt).

 

So, und wo stehe ich jetzt? Ich habe zwar ein klassisches Musikstudium absolviert, aber mittlerweile komponiere ich meine eigene Musik, die ich eher den Genres Pop / Jazz / Singer-Songwriter zuordnen würde. Sie fällt also per Definition in die Kategorie U-Musik und ist somit kommerziell und schlechter vergütet. Auch wenn ich mit meinen Konzerten und den Einnahmen aus Streaming, GEMA & Co. bei Weitem nicht so viel verdiene, wie ich als festangestellte Orchestermusikerin verdienen würde und obwohl ich meine Musik selbst komponiere und mich über zahlreiche Fortbildungen über die studierte Klassikerin hinaus weiterentwickelt habe. Würde ich einfach die Noten eines klassischen Komponisten abspielen, der seit Jahrhunderten verstorben und auf jedem noch so entfernten Teil der Erde bekannt ist, dann würde meine Musik plötzlich als nicht-kommerziell angesehen. Was für eine absurde Konsequenz. Ich frage mich: Was bitte ist an klassischer Musik nicht-kommerziell? Jeder Mensch weiß, worauf man sich einlässt, wenn man sich Tickets für "Die Zauberflöte" oder das "Weihnachtsoratorium" kauft. Es ist eindeutig kommerziell motiviert, da Veranstalter etwas verkaufen, was allgemein bekannt ist, um Geld zu verdienen. In der Popwelt würde man dies 1:1 Covern bezeichnen. Und wieviele klassische Musiker:innen verdienen auf Spotify, YouTube und mit dem Verkauf ihrer Interpretationen bekannter klassischer Musikstücke Geld, obwohl sie damit gar keine kreativen Eigenleistungen erbracht haben, nur weil die Nachfahren von Bach und Co. keine Ansprüche mehr auf deren Tantiemen haben? Wenn ich hingegen ein Cover eines Popsongs erstelle, ein komplett neues Arrangement schreibe und sogar die harmonischen Akkorde verändere, dann muss ich alle Einnahmen, die mit diesem Song generiert werden, an die Urheber abgeben. Aber suchen Menschen nicht eigentlich nach Bekanntem und werden so auf neue Musiker:innen aufmerksam? Werden nicht vorwiegend bekannte Titel auf YouTube und Spotify in die Suchleiste eingegeben? Kann man wirklich mit komplett neuer und eigener Musik so erfolgreich werden, dass man davon leben kann - ohne als kommerziell zu gelten...?

 

Ein weiteres Ungleichgewicht, mit dem Musiker:innen aus dem U-Bereich konfrontiert werden, ist die unfaire Umsatzsteuerregelung. Während die Darbietung von klassischer Musik häufig von der Umsatzsteuer gemäß §4 Nr. 20a UStG befreit ist, müssen Musiker:innen anderer Genres den vollen Steuersatz zahlen. Es ist frustrierend zu sehen, wie diejenigen, die ihre eigene Musik komponieren und aufführen, mehr finanzielle Belastungen tragen müssen, während Klassiker, die ihr Repertoire auf längst verstorbenen Komponisten aufbauen, steuerliche Privilegien genießen. Diese Ungerechtigkeit verstärkt die finanzielle Schere zwischen den verschiedenen Musikrichtungen und hemmt die kreative Entfaltung der Musiker:innen im U-Bereich. 

 

Und ist es nicht bereits so, dass typische Veranstaltungsorte von klassischer Musik wie Opernhäuser und Theater derzeit mehr als überproportional mit durchschnittlich 80% vom Staat - also auch von meinen Steuergeldern - subventioniert werden? Schaut man sich die Theaterproduktionen dann mal genauer an, fällt einem vor allem eines auf: es muss provozieren. Besonders beliebt sind Vergewaltigungsszenen - auch in Opern, die normalerweise von Schulklassen besucht werden - obwohl die Libretti dafür keinerlei Grundlage liefern. Egal, ob es sich um Figaro, Carmen oder den Fliegender Holländer handelt: in der Theaterwelt gilt die Regel "Nur schlechte Kritik ist gute Kritik", denn anscheinend erreicht man mit traditionellen, publikumsnahen Aufführungen keine überregionale Presse. Es macht mich sprachlos, dass dies alles als nicht-kommerzielle Kunst angesehen wird und somit besonders förderungswürdig ist, obwohl zeitgleich natürlich beste Gagen bezahlt werden. Meiner Meinung nach wird da das Zitat von Claudia Roth "Kunst ist frei, sie muss nicht gefallen und darf nicht dienen" etwas zu sehr im eigenen Interesse ausgelegt und der Kulturauftrag der Theater weit verfehlt. 

 

Gleichzeitig finden Musiker:innen aller anderen Genres auf diesen staatlich subventionierten Brettern, die die Welt bedeuten, nicht statt und müssen auf kleinere unabhängige Bühnen ausweichen, die nicht in dem Maße subventioniert werden und sich hauptsächlich über ihre Eintrittspreise finanzieren. Eine Konsequenz, die sich natürlich in den Künstlergagen widerspiegelt. Wäre es nicht sinnvoller, alle Musikerinnen und Musiker in Deutschland unabhängig von ihrer Musikrichtung gleichberechtigt in ihrem kreativen Schaffen zu fördern und somit aktiv die Weiterentwicklung der Musik voranzutreiben? Warum müssen wir uns in starre Kategorien wie kommerziell, nicht-kommerziell, U-Musik, E-Musik einsortieren lassen? Sind wir im 21. Jahrhundert noch nicht weiter, als Musik einfach nur Musik sein zu lassen und ALLEN Musiker:innen gleiche Chancen und gleiche finanzielle Anerkennung zu zollen und die deutsche Musik von ihrem Staub zu befreien und in die Zukunft zu bringen? In Frankreich gibt es Quoten für französische (40%) und europäische (60%) Musik im Radio. Dadurch werden mehr Menschen auf die Musikschaffenden ihres Landes aufmerksam und diese erhalten im Gegenzug eine bessere Vergütung und müssen nicht mehr so massiv wie hier in Deutschland mit den internationalen Charts konkurrieren. Aber Deutschland hat sich selbst nach drei Jahren Pandemie und einem Komplettausfall der Konzertbranche nicht weiterentwickelt. In Irland gibt es seit 2022 zumindest in einer Pilotstudie für 2000 Musiker:innen staatliches Grundeinkommen für Künstler:innen. Während der Pandemie hat sich herausgestellt, dass viele Nachbarländer wie Frankreich, Luxemburg, Belgien eine bessere und schneller funktionierendere Künstlerförderung hatten, als Deutschland. Sind wir denn überhaupt noch eine Kulturnation? Geht es denn wirklich noch um die Musik oder nur noch darum, sich mit einem Selfie auf dem grünen Hügel oder in der Elphie zu präsentieren, ausstaffiert mit Accessoires von Gucci und Prada, weil der grüne Hügel ist Kulturerbe, aber alles andere kann weg?

 







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